YOGA IM ALLTAG
Yoga beim Kochen, Yoga beim Putzen, Yoga, wenn die Kinder pubertieren, Yoga, wenn der Bus zu spät kommt, Yoga im Job – wie soll das aussehen? Wie kann ich, wenn ich einen herabschauenden Hund praktiziere, mein Privatleben positiv beeinflussen? Was hat Vashistasana mit meinem Job zu tun? Und inwiefern hilft mir eine Vorbeuge, mit den seltsamen Gewohnheiten zurecht zu kommen, die pubertierende Jungs so produzieren? Und wenn der Bus zu spät kommt, soll ich dann den Baum machen und es geht schneller?
Eine kurze Antwort auf diese Fragen gibt es nicht, aber es gibt eine ausführliche. Diese hat einerseits mit Yoga-Philosophie zu tun. Und sie hat zu tun mit dem, was wir erleben, wenn wir in unserer Yoga-Praxis Grenzen und Herausforderungen spüren.
DEN ALLTAG HUMORVOLL ANNEHMEN
Die Niyamas sind in der Yoga-Philosophie eine Sammlung an Verhaltensregeln, die Empfehlungen für den Umgang mit sich selbst beinhalten. Neben anderen findet sich hier das Prinzip von Samtosha, der Zufriedenheit. Zufriedenheit, erlangen wir, wenn wir im Frieden mit uns und der uns umgebenden Welt leben. Und wir erhalten sie, wenn wir so leben, dass wir jedem Ereignis mit all seinen Folgen einen Sinn in unserem Leben zugestehen. Dieses Prinzip auf schwere Schicksalsschläge anzuwenden, ist eine unglaubliche Herausforderung. Vielleicht kann man aber dieses Prinzip auf kleine Unwegsamkeiten im täglichen Leben anwenden. Dann könnte es auch im Großen wirken und uns in schwierigen Situationen eine Hilfe sein.
Es ist wichtig, in jeder „niedrigen“ Arbeit einen Sinn zu sehen. Wir lernen, jedem „nervigen“ Handgriff eine Bedeutung zu geben. Wir versuchen, auf die absurden Äußerung eines Pubertierenden mit Humor und Liebe zu reagieren und eine Fahrplanänderung als nicht veränderbar hinzunehmen. Und wir wissen, dass jedweder Ärger darüber sinnlos ist und keinesfalls dazu führt, dass der Bus schneller kommt. Die Zufriedenheit macht uns natürlich nicht sofort „zufrieden“ mit dem Unsinn des Alltags. Sie lässt ihn uns aber annehmen. Manchmal war ich sogar schon dankbar dafür, dass mir die ärgerlich-direkte Art einer meiner Söhne gezeigt hat, wie engstirnig ich eigentlich bin. Das war für mehr als eine Person ein Gewinn!
GRENZEN AKZEPTIEREN
Aber nicht nur diese philosophische Sichtweise hat Yoga zu bieten. Auch Asanas, also die körperliche Yogapraxis, lassen uns „am eigenen Leibe“ fühlen, welche Reaktion auf Schwierigkeiten oder scheinbare Probleme wir zur Verfügung haben. Da gibt es noch einiges neben Ärger oder Aufregung. Nicht selten fallen wir um, wenn wir den falschen Tag für Balancen erwischt haben oder unsere Muskeln der Herausforderung noch nicht gewachsen sind. Nicht selten spüren wir Schmerzen, die über eine „angenehme Dehnung“ hinausgehen. Dann kann unser Körper die von unserem Geist gewünschte Bewegung noch nicht ausführen. Und vielleicht kommt Neid auf, wenn die Vorbeuge der Matten-Nachbarin viel tiefer ist. Wir wissen genau, das hätten wir gestern auch gekonnt, nur heute eben nicht!
Unser Körper gibt uns auf vielfältigste Art und Weise Rückmeldung über etwas, wo uns der Geist überfordert. Dann sollten wir auf ihn als unseren wichtigsten Lehrer hören. Wenn wir das nicht tun, spüren wir die Konsequenzen – wir verletzen uns. Dann sollten wir an dieser Stelle Hingabe an das, was ist, und Dankbarkeit für unseren wachen und sensiblen Körper lernen. Manchmal ist es ein subtiles Ziehen, manchmal ist es ein handfester und dauerhafter Bandscheibenvorfall oder eine gerissene Sehne. Und die sagt: „Du bist zu weit gegangen, das hätte nicht sein müssen, das hat nichts gebracht!“
ZUFRIEDENHEIT VON DER MATTE IN DEN ALLTAG NEHMEN
In einer achtsamen Yogapraxis und einer gelebten inneren Zufriedenheit finden wir einen möglichen Weg, Yoga in den Alltag zu integrieren. Wenn wir von der Matte aufstehen wissen wir, wie viel es uns gebracht hat, durch ein mentales oder körperliches Tief lächelnd hindurchzuatmen. Wir haben das Bein mal etwas tiefer sinken zu lassen statt es höher heben zu wollen. Wir wissen, dass wir mit Demut und Hingabe anstatt mit Ungeduld oder Ehrgeiz auf eine Anforderung reagieren können. Dadurch ändert sich das Ergebnis vielleicht nicht, aber unsere innere Haltung wird positiv und wohlwollend. Zugleich wissen wir auch (oder wir lernen es mit der Zeit), dass genau die selben Strategien, nämlich annehmen und hindurch atmen (und vielleicht einfach drei Minuten nicht auf die unnötige Bemerkung des Gegenüber reagieren!) jenseits der Yoga-Matte genau so bedeutsam wären.
Und selbstverständlich kommt der Bus schneller, wenn wir uns in den Baum stellen. Denn wenn ich Einstein auch nur halbwegs richtig verstanden habe, vergeht die Zeit deutlich flotter, wenn ich etwas tue, was mir Spaß macht!